Geltung von Prozessgrundrechten und totgeschwiegene Argumente, in: Fahl u.a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Beulke zum 70. Geburtstag, 2015, S. 937–948 (gemeinsam mit Andreas Geipel)
Die Beschneidungsdebatte aus Sicht eines Protagonisten. Anmerkungen zur Entstehung und Einordnung des Beschneidungsurteils sowie zum Beschneidungsparagrafen (§ 1631d BGB) und zu seinen Konsequenzen, in: Franz, Matthias (Hrsg.), Die Beschneidung von Jungen: Ein trauriges Vermächtnis, Göttingen 2014, S. 319–357
Das Landgericht Köln hat religiös motivierte Knabenbeschneidungen überzeugend für rechtswidrig erklärt. Kindern ohne medizinische Notwendigkeit einen gesunden und sensiblen Teil ihres Körpers irreversibel abzutrennen, entspricht nicht ihrem Wohl – sie werden Schmerzen sowie unnötigen Risiken ausgesetzt und der Eingriff bringt, jedenfalls im Kindesalter, keinerlei gesundheitliche Vorteile mit sich.
Die deutsche Politik hätte ein klares Signal setzen können: Unser Grundgesetz erlaubt keine Genitalverstümmelungen – weder bei Mädchen noch bei Jungen! Bewirkt hat die Politik das Gegenteil. Sie hat den kindlichen Körper von Jungen in seinem sensibelsten Bereich dem staatlichen Schutz entzogen. Daran ändert auch nichts der zur Gewissensberuhigung geschaffene Sondertatbestand des § 226a StGB, der Frauenbeschneidungen nunmehr sogar ausdrücklich kriminalisiert. Denn dadurch ist die Widersprüchlichkeit nur noch vertieft worden: § 1631d BGB und § 226a StGB sind inkompatibel. Wer Jungenbeschneidungen erlauben und gleichzeitig alle Frauenbeschneidungen, selbst wenn weniger eingriffsintensiv, hart bestrafen will, der verletzt eklatant den Gleichheitssatz.
Der Staat wäre verpflichtet gewesen, alle Kinder vor medizinisch unnötigen Beschneidungen zu bewahren und sie erst zu erlauben, wenn die Entscheidung selbstbestimmt getroffen werden kann. Das gilt selbstverständlich auch für religiös motivierte Vorhautamputationen. Religiöse Toleranz endet zwingend, wenn die körperliche Integrität von Kindern ohne medizinischen Grund nicht nur unerheblich irreversibel verletzt wird, vor allem wenn der Intimbereich betroffen ist. Dass der Gesetzgeber derartige Eingriffe erlaubt hat, ist ein „Sündenfall des Rechtsstaats“.
Doch ein pessimistisches Fazit wäre verfehlt. Die Diskussion hat sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei vielen muslimischen und jüdischen Eltern, die das Ritual mangels Hintergrundwissen unkritisch praktiziert haben, die Sensibilität geweckt für das Leiden der betroffenen Kinder und die Risiken, denen sie ausgesetzt werden. Noch immer erhalte ich Zuschriften, vor allem von jüdischen Müttern. Einige haben mir stolz mitgeteilt, dass sie sich dem blutigen Ritual erfolgreich widersetzt hätten, weil ihnen bewusst geworden sei, um was für eine grausame Tradition es sich bei der Brit Mila handelt. Solche Eltern gibt es viele und es werden immer mehr. Sie erkennen an, dass Kinder und ihre körperliche Integrität schützenswert sind und ein an die Stelle des blutigen Rituals tretender symbolischer Akt das religiöse Selbstverständnis in keiner Weise beeinträchtigt. Denn die heutige Welt entspricht nicht mehr derjenigen von Abraham. Was damals richtig war, ist heut meist falsch. Das gilt insbesondere für medizinisch unnötige Knabenbeschneidungen.
Über kurz oder lang werden Genitalverstümmelungen von Jungen und Mädchen der Vergangenheit angehören. Religionsvertreter, die Genitalverletzungen von Kindern trotz religionskompatibler Alternativen zum nicht verhandelbaren Ritual erklären, werden diesen Zivilisierungsprozess nicht aufhalten. Dem Gesetzgeber ist es nicht geglückt, mit dem Beschneidungsparagrafen die Rechtmäßigkeit medizinisch nicht notwendiger Jungenbeschneidungen zu zementieren – schon gar nicht Akzeptanz oder gar Schweigen zu verordnen. Im Gegenteil: § 1631d BGB ist perfekt misslungen und ein verfassungswidriger Fremdkörper in unserer Rechtsordnung.
Pflichtdelikte und objektive Zurechnung. Zum Verhältnis der allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen zu den Merkmalen des § 25 StGB, in: Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, hrsg. v. Manfred Heinrich u.a., 2011, S. 425–437
Straflose Vorbereitung oder strafbarer Versuch. Zur Eingrenzung von § 22 StGB und Art. 13 § 1 K.k., in: Vergleichende Strafrechtswissenschaft, Frankfurter Festschrift für Andrzej J. Szwarc zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Jan C. Joerden, Uwe Scheffler, Arndt Sinn und Gerhard Wolf, Berlin 2009, S. 205–233 (gemeinsam mit Rolf Dietrich Herzberg)
Zusammenfassung: Auf der Grundlage des § 22 StGB und wohl auch auf der des Art. 13 § 1 K.k. kann die Lehre vom deliktischen Versuch nur dann ein widerspruchsfreies System bilden, wenn sie das Folgende beachtet.
1. Beim Merkmal "unmittelbar ansetzt" muss man unterscheiden zwischen Ansetzenshandlung und Ansetzungserfolg. Beides fällt meistens zusammen, z.B. wenn der Täter im Supermarkt nach der Flasche greift, die er stehlen will, oder wenn er dem Dieb für das gestohlene Auto Bargeld bietet in der Hoffnung auf Einverständnis und sofortige Übergabe. Für solche Fälle stimmt die herkömmliche Annahme: Wer die Grenze zwischen Vorbereitung und Versuch überschreitet, begeht damit sofort den vollständigen (strafbaren) Versuch. Es kann aber auch das eine vom anderen getrennt sein. Das Bereitstellen des Gifttranks, um den ahnungslosen Ehemann zu töten (also das letzte darauf gerichtete aktive Tun!), das Drohen mit Misshandlung, um eine Frau zur Zahlung von Geld oder zum Geschlechtsverkehr zu nötigen, liegt als die oder als eine Tatbestandshandlung jenseits bloßer Vorbereitung und ist schon Teil des Mord-, Erpressungs- oder Vergewaltigungsversuchs. Aber wenn der Täter sich noch fern der Vollendung sieht, fehlt noch der Ansetzungserfolg, die Unmittelbarkeit der (vorgestellten) Vollendungsgefahr, die den Versuch erst vollständig macht.
2. Das findet auch deutlichen Ausdruck im Gesetz. Damit es zum kompletten (strafbaren) Versuch kommt, sei es zu einem "beendeten" oder "unbeendeten", muss die "Verwirklichung des Tatbestandes" nach der Tätersicht "unmittelbar" bevorstehen. Dies ist eine Voraussetzung des Versuchstatbestandes, die also immer gilt und nicht deshalb entfällt, weil der Täter irgendeine "Sphäre" des Opfers angetastet oder die bzw. eine Tatbestandshandlung begangen oder einen Kausalverlauf "aus seinem Herrschaftsbereich entlassen" hat. So kann man das Vorliegen vollständiger Versuche nicht schon deshalb annehmen, weil der Täter in das Haus eingestiegen ist, wo er die Bewohnerin vergewaltigen und dann bestehlen will. Oder weil der AIDS-Kranke den Geschlechtsakt vollzogen hat, der nach seiner Vorstellung vielleicht über die Ansteckung zum Tod des Partners führen wird. Oder weil der Täter durch Täuschung oder Drohung bereits eingewirkt hat auf das Opfer, welches er aber erst in Stunden oder Tagen durch Entgegennahme der erhofften Leistung zu schädigen vorhat. Oder weil die Mutter ihr Kind, das im Supermarkt Schnaps entwenden soll, auf den Weg gebracht und "aus ihrer Obhut entlassen hat ". Entscheidend ist auch in solchen Fällen, wann dem Täter die Verwirklichung des Tatbestandes frühestens möglich scheint. Erst zu diesem Zeitpunkt hat er den jeweiligen Versuch vollständig begangen.
Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben. Zugleich ein Beitrag über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personensorge; in: Strafrecht zwischen System und Telos, Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg zum siebzigsten Geburtstag am 14. Februar 2008, hrsg. v. Holm Putzke, Bernhard Hardtung, Tatjana Hörnle, Reinhard Merkel, Jörg Scheinfeld, Horst Schlehofer und Jürgen Seier, Mohr Siebeck: Tübingen 2008, S. 669–709
Wer eine Zirkumzision an einem Kind vornimmt (gleichgültig, ob etwa Arzt, Mohel oder Sünnetci), braucht, um die Verletzung des Körpers gerechtfertigt vorzunehmen, eine wirksame Einwilligung der Personensorgeberechtigten. Geben Personensorgeberechtigte eine entsprechende Erklärung ab, obwohl die Zirkumzision medizinisch nicht notwendig ist (also etwa aus hygienischen, ästhetischen oder religiösen Gründen), dann fehlt ihnen die Dispositionsbefugnis, weshalb die Einwilligung nicht rechtfertigend wirkt.
Die Preußische Treuhand und der Gedanke der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz); in: Harmonisierung des Wirtschaftsrechts in Deutschland, Österreich und Polen; Jahrbuch des Krakauer Forums der Rechtswissenschaften, hrsg. v. Marc Liebscher, Baden-Baden 2008, S. 9–30 (gemeinsam mit Guido Morber)
Die Aktivitäten der Preußischen Treuhand sind geeignet, den Gedanken der Völkerverständigung schwerwiegend, ernst und nachhaltig zu beeinträchtigen. Sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht ist der Verbotstatbestand des § 17 Nr. 1 VereinsG erfüllt. Ein Verbot der Preußischen Treuhand und die gleichzeitige Anordnung ihrer Auflösung wären verhältnismäßig.
Was ist gute Kriminalpolitik? Eine begriffliche Klärung; in: Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen, Festschrift für Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag, hrsg. von Thomas Feltes, Gernot Steinhilper und Christian Pfeiffer, Heidelberg u.a. 2006, S. 111–122
Über Kriminalpolitik im Ganzen gibt es kein aktuelles Buch, ebenso gibt es keine wirklich neuen Konzepte. Hierin mag ein Grund liegen, dass Kriminalpolitik eine echte Lobby fehlt. Daran ändert auch nichts die Beobachtung, dass etwa Kriminologen bei kriminalpolitischen Entscheidungen durchaus gefragt sind. Zwar mag sich die Politik regelmäßig für kriminologische Forschungen und deren Ergebnisse interessieren, verarbeitet werden sie freilich nur selektiv. Abhilfe schaffen kann nur effektive Politikberatung. Einerseits gehört dazu, gesetzgeberische Maßnahmen bereits im Vorfeld einer Wirksamkeitskontrolle zu unterwerfen, also eine „fest institutionalisierte Beteiligung der Wissenschaft am Gesetzgebungsprozeß“. Andererseits sollte es Aufgabe guter Kriminalpolitik sein, eine kritische „Nachsorge“ zu übernehmen, also kriminalpolitische Maßnahmen zu evaluieren. Diese Formen der Kriminalpolitik stecken in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Ein Blick über die Grenzen, etwa in die Niederlande oder nach Dänemark, zeigt den Erfolg einer solchen „kriminalpolitischen Seriosität“. Wird unabhängige Evaluation als notwendiges Steuerungselement akzeptiert und eingesetzt, steigert das nicht nur die Qualität der Kriminalpolitik, sondern spart zugleich Steuermittel. Die Erfahrung lehrt freilich, dass solche Vorschläge ein frommer Wunsch bleiben werden, wenn es bei freiwilliger Selbstkontrolle bleibt. Politikberatung braucht ein dauerhaft installiertes Gremium, vergleichbar mit den fünf „Wirtschaftsweisen“. Warum sollte es nicht auch einen „Sachverständigenrat zur Begutachtung der kriminalpolitischen Lage“ geben, der zuständig ist für die Vor- und Nachsorge kriminalpolitischer Entscheidungen und der mit einer Stimme spricht. Denn eine Stimme ist allemal besser als ein Chor mit eitlen Solisten, die immer dann ihre Stimme erheben, wenn es ihnen gerade recht ist.