Allein die vorherige Kenntnis des Angeklagten von der zu begehenden Tat und sein Wille, diese als gemeinsame anzusehen, kann eine Mittäterschaft nicht begründen. Mittäterschaft erfordert nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichend sein kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt, wobei diese Mitwirkung sich nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen muss. Ob der Beitrag eines Beteiligten ein seine Täterschaft begründendes enges Verhältnis zur Tat aufweist, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände zu prüfen, wobei wesentliche Anhaltspunkte sein können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft.
Entscheidungsanmerkung zu BGH, Beschl. v. 17.9.2014 – 1 StR 387/14 (Entziehung Minderjähriger durch Entziehung eines Elternteils); in: Zeitschrift für das Juristische Studium (ZJS) 3/2015, S. 315–319
S. 620–624
Die Renaissance des „Lügendetektors“ in Straf- und Familiensachen, Anmerkung zu OLG Dresden Beschluss v. 14.5.2013, 21 UF 787/12 (BeckRS 2013, 16540), AG Bautzen, Beschluss v. 28.1.2013, 12 F 1032/12 (BeckRS 2013, 16541) und AG Bautzen, Urteil v. 26.3.2013, 40 Ls 330 Js 6351/12 (BeckRS 2013, 08655); in: NJW-aktuell 42/2013, S. 14
15 Jahre nach der Entscheidung des 1. Strafsenats haben ein Familienrichter, ein Familiensenat und ein Schöffengericht den mittels eines Polygraphen durchgeführten Kontrollfragentest als treffsicher und zuverlässig eingestuft. Das ist bemerkenswert und die richtige Beurteilung. Inzwischen herrscht unter Fachleuten weitgehend Einigkeit darüber, dass die Methode bei Tätern und Nichttätern treffsicher ist und alles andere als zufällige Ergebnisse liefert. In der weiteren Diskussion, der sächsische Gerichte einen kräftigen Impuls gegeben haben, wird es nicht mehr um die Frage gehen, ob polygraphische Untersuchungen zuverlässige Ergebnisse liefern, vielmehr darum, einheitliche Standards zu definieren hinsichtlich Testanordnung, -durchführung, -auswertung und -interpretation, damit Gerichte, Staatsanwaltschaften und nicht zuletzt Betroffene, die sich einem unberechtigten Verdacht ausgesetzt sehen, von dem Potential der Methode profitieren können. Die Rechtsprechung des BGH zum Polygraphen wird in der Praxis jedenfalls inzwischen mehr als Hindernis denn als Leitspruch empfunden. Die Zeit ist reif, eine überholte Ansicht zu revidieren.
Entscheidungsanmerkung zu BGH, Beschl. v. 14. 2. 2012 – 3 StR 392/11 (Gewaltsame Wegnahme eines Mobiltelefons ohne deliktsspezifische Absicht); in: Zeitschrift für das Juristische Studium (ZJS) 2013, S. 307–315
Entscheidungsbesprechung zu OLG Hamm, Beschl. v. 24. 5. 2011, 2 RVs 20/11 (Anruf bei der Notrufstelle der Polizei als Spontanäußerung); in: Zeitschrift für das Juristische Studium (ZJS) 2012, S. 838–840
LG Köln fällt wegweisendes Urteil: Religiöse Beschneidungen von Kindern sind rechtswidrig, Anmerkung zu LG Köln, Urt. v. 7.5.2012 (151 Ns 169/11); in: Legal Tribune ONLINE (LTO) v. 26.6.2012
Noch nie hat ein Gericht sich mit der Frage beschäftigt, ob das deutsche Recht religiöse Beschneidungen an Kindern erlaubt. Das Landgericht Köln hat jetzt rechtskräftig entschieden: Sie sind verboten; wer sie vornimmt, macht sich grundsätzlich strafbar, weil weder Elternrecht noch Religionsfreiheit eine Rechtfertigung gewähren. Ein richtiges und mutiges Urteil!
BGH kippt Freispruch vom Vorwurf der Rechtsbeugung: Wenn Richter über Richter richten; in: Legal Tribune ONLINE (LTO) v. 6.6.2012 (gemeinsam mit Christina Putzke)
Wegen Rechtsbeugung wird praktisch nie jemand verurteilt. Seit jeher wenden die Gerichte diese Strafnorm restriktiv an. Manchmal aber sehen sich selbst Richter am BGH gezwungen einzugreifen. Dies zeigt der Fall eines kürzlich freigesprochenen Proberichters.
Entscheidungsbesprechung zu BGH, Beschl. v. 25.7.2011, 1 StR 631/10 (Anforderungen an eine strafbefreiende Selbstanzeige, eigenmächtige Abwesenheit in der Hauptverhandlung wegen Suizidversuchs), in: Zeitschrift für das Juristische Studium (ZJS) 2012, S. 383–388
Was beim BGH passiert, interessiert normalerweise nur Prozessparteien oder Angeklagte und ihre Anwälte sowie Wissenschaftler. Falls die Medien doch einmal ausführlicher berichten, sind es meist Rechtsfragen, die im Mittelpunkt stehen und sich über ein konkretes Verfahren hinaus auswirken.
Das hat sich spätestens seit dem bizarren Streit geändert, den der Präsident des BGH Klaus Tolksdorf angezettelt hat mit Blick auf die Besetzung der Stelle des Vorsitzenden des 2. Strafsenats. Mit den „Attacken des Präsidenten“ und der Eskalation der Affäre beschäftigen sich inzwischen zahlreiche Beiträge und bedenken den offenbar überforderten Gerichtspräsidenten ob seines ungeschickten Verhaltens mit bissigen Kommentaren.
Der 1. Strafsenat ist auf dem besten Weg, in ähnlicher Weise in die Schlagzeilen zu geraten. Seit sein Vorsitzender Armin Nack heißt, haben vor allem Strafverteidiger den Eindruck, mit einer Revision vor dem 1. Strafsenat im Vergleich zu anderen Senaten auf verlorenem Posten zu stehen. Staatsanwaltschaften hingegen schätzen den Senat, weil er – so heißt es – häufig Verurteilungen „hält“ und Freisprüche „kassiert“. Seit den Aufsätzen von Erb, in denen er die Rechtsprechung des 1. Strafsenats stichhaltig verurteilt, stehen der Senat und sein Vorsitzender unter Bewährungsaufsicht. Und nicht zuletzt seit dem eindrucksvollen Beitrag von García weiß man auch, dass schon längst nicht mehr stimmt, was Nack für den Zeitraum von 1992 bis 1995 einst festgestellt hat: „Die Aufhebungspraxis der Strafsenate ist weitgehend homogen“. Angesichts dieses Befundes lohnt es sich, bei Entscheidungen des 1. Strafsenats genauer hinzuschauen.
Entscheidungsbesprechung zu BGH, Beschl. v. 30.11.2010, 1 StR 509/10 (Untersuchung mittels eines Polygraphen als ungeeignetes Beweismittel); in: Zeitschrift für das Juristische Studium (ZJS) 2011, S. 557–563
Dem 1. Strafsenat ist es weder mit seiner ersten noch seiner zweiten Polygraphen-Entscheidung gelungen, polygraphische Untersuchungen gänzlich aus Straf- und Zivilverfahren zu verbannen. Auch der dritten Polygraphen-Entscheidung wird dies nicht glücken, weil der Senat nicht zuletzt einer kritischen Würdigung der in BGHSt 44, 308 ff. formulierten Einwände ausgewichen ist. Das ist nicht nur ungeschickt, sondern raubt der Entscheidung jedwede Überzeugungskraft. Es steht einem Spruchkörper weder gut zu Gesicht noch trägt es zur Akzeptanz seiner Entscheidung bei, Gegenargumente totzuschweigen. Auf diese Art wird der 1. Strafsenat den Polygraphen jedenfalls nicht los – und das ist gut so!
Juristische Positionen zur religiösen Beschneidung, Besprechung von OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 21.8.2007 (4 W 12/07), NJW 2007, 3580; in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2008, S. 1568–1570
Geht es um die körperliche Unversehrtheit, lässt der Gesetzgeber mitnichten jegliche religiöse Handlung zu, beispielsweise im Falle der Sittenwidrigkeit. Nicht anders liegt es bei zwar nicht sittenwidrigen, aber immerhin nicht bloß unerheblichen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit. Insoweit gibt es einen sachlichen Grund, der es notwendig macht und also erlaubt, die Regelung des § 5 Satz 1 RelKEG zu modifizieren: Zu sehen ist er in der Verletzung des Rechtsguts der körperlichen Integrität. Deshalb gibt es mit der Vollendung des 14. Lebensjahres keinen Automatismus, der die Frage obsolet macht, ob der Betroffene fähig ist, „Wesen, Bedeutung und Tragweite [des Rechtsgutseingriffs] zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten“. Die Antwort auf diese Frage hängt vom Einzelfall ab. Blickt man auf die Rechtsprechung zur Einwilligungsfähigkeit bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit, dürfte die erforderliche Beurteilungsreife in der Regel zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr anzunehmen sein.
Anmerkung zu Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8.4.2004 – 2 BvR 1821/03 (3. Kammer); in: Strafverteidiger (StV) 12/2005, S. 644–646 (gemeinsam mit Jörg Scheinfeld)
Ein Rechtsmittelgericht, dessen Rechtsschutzaufgabe es ist, von der Vorinstanz begangene Gesetzesverletzungen festzustellen und zu sanktionieren, darf nicht Gesetzesverletzungen, die es gefunden hat, ex post „legalisieren“.